Im Jahr 1919 wurde mit der Weimarer Reichsverfassung die allgemeine Schulpflicht durch die „für alle gemeinsame Grundschule“ beschlossen. „Zum ersten Mal in der deutschen Geschichte sollten alle Kinder gemeinsam zur Schule gehen, unabhängig von ihrer wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Stellung oder dem Religionsbekenntnis der Eltern“, so beschrieb Bundespräsident Steinmeier in seiner Rede in der Paulskirche die Geburtsstunde der Grundschulen und einer der essentiellen Schritte für die Demokratie und Chancengleichheit in Deutschland; einem elementaren Bestandteil unseres Grundgesetzes.
Die neue Schulpflicht brachte einen radikalen Wandel innerhalb der Gesellschaft und das Ende des ständischen Schulsystems. Denn nun sollten nicht mehr ausschließlich die Kinder, deren Eltern genug Geld für Hausunterricht – außerhalb der überfüllten Volksschulen, die zuvor in aller erster Linie von Kindern aus ärmeren Verhältnissen besucht wurden – einen Zugang zur Bildung haben. Solche Ansätze gab es bereits in den 1760er Jahren in Preußen, doch da sich nicht alle Eltern das Schulgeld leisten konnten, die Kinder als Unterstützung zum Verdienst des Haushaltgeldes gebraucht wurden und es in vielen Orten schlicht und ergreifend keine Schulen gab, konnten nur wenige Kinder zur Schule gehen. Erst um das 19. Jahrhundert haben ungefähr die Hälfte der Kinder Schulen besucht bis in die 1850er Jahre stieg die Anzahl sogar auf rund 80%. Erst mit der Reichsverfassung wurde es so gut wie allen Kinder ermöglicht zur Schule zu gehen, allerdings konnte man weder damals noch heute von einer vollkommenen Chancengleichheit sprechen.
In seiner Geburtstagsrede richtete Steinmeier einen Appell an die Schulen und die Bildungspolitik „mehr Chancengerechtigkeit zu verwirklichen“. Denn auch heute hängt der Bildungserfolg noch sehr von der sozialen Herkunft ab und das mehr als in den meisten anderen Industriestaaten.
Muriel Bohsung